Irgendwo in Afrika

Liebe Freunde, Abenteurer und Fitzgeraldos...



Irgendwo in Afrika...

auf der Suche nach der Schwarzen Gambe, auf der Suche nach dem schwarz- maskierten Gotte. Auf der Suche nach einem Seil, nach einem Punkt auf dem wir uns treffen können: Afrika und ein Deutscher Orgelbauer in einem verwegenen Ringen um Kultur, um Tiefe, um Breite.

"Orgelbau kann heute spannender sein, als so manches gewagte Abendteuer vergangener Epochen" - dies war ein Leitsatz meines letzten Editorials, und es bewahrheitet sich immer wieder und immer mehr, dass unser heutiges Leben dann an Farbe und Abenteuer gewinnt, je mehr wir auf Zivilisation und Technik verzichten. Die Frage ist nur, ob wir es auch verkraften. Ein Nigerianer ist Chef der Dokumenta 11 in Kassel und ein kultur-hungriges Nigeria begrüßte den völlig irritierten Schreiber der nachfolgenden Zeilen eines Tagebucheintrages :

Es ist 2:45 Uhr morgens, Mittwoch 24.Juli 2002. Brütende feuchte Hitze lastet im Hotelzimmer. Endlich ist Ruhe, denn dem Dieselgenerator ist der Sprit ausgegangen, hier, mitten auf dem brodelnden Vulkan Afrikas: Lagos, das ist Unruhe, Dunkelheit, Endzeit . Dieser Dampfkessel Lagos in Nigeria ist eine Metropole mit etwa 12 Millionen Einwohner, einem riesigen Hafen, einem Heer an christlichen Kirchen aller Farben, und einem Klima das für viele Europäer schon zur tödlichen Falle geworden ist. Lagos ist Afrika nahe des Äquators, irrational und schwarz, aber auch angelsächsisch und begierig nach High Tech, gierig nach Westkonsum, fast süchtig und berauscht von Sony-Equipment und Mercedes Benz, so stehen die Reichen neben den Armen. Lagos ist aber auch gefährlich und düster, dort, wo sich bewaffnete Banden und Mafia breit machen und gegen eine korrupte Polizei übermächtig wirken. Wo Unsicherheit in allen Lebenslagen ein dominierendes Prinzip ist, wo die schlangenhafte Anpassung viele Menschen verzehrt, wo kein Boden mehr ist, der nicht schwammig ist und von Fäulnis aufgesogen, hier wirkt Lagos wie eine ungeheure Bestie, die ihren Tribut einfordert, wie einst die Sphinx, unnachgiebig jeden verzehrend, der das Rätsel "Mensch" nicht lösen kann. Lagos kann in seiner schrecklichsten Form und Darstellung zutiefst faszinieren, und zwar dann, wenn das alte Europa nichts mehr zu bieten hat, als die momentan stattfindende statische Langeweile, Stillstand und Ignoranz. Ein Dampfkessel der vor der Explosion zu stehen scheint, gegen ein Europa gesetzt, welches in technischer Gefühlskälte erstarrt, das sei ein Bild, welches die letzten Abenteurer mitnehmen, wenn sie nach Lagos gehen, und an dem Feuertanz der schwarz maskierten Göttern teilnehmen, bis zum frühen Morgen, wenn ein schwerer Rauch die Täler füllt und sich mischt mit Regen und aufkommender, versengender Hitze.

Der Dieselgenerator ist Bestandteil des Lebens in Lagos. Strom wird zu einem erheblichen Teil über solche Generatoren erzeugt, da die staatliche Stromversorungsgesellschaft NAPA riesige Probleme damit hat, eine halbwegs angemessene Stromversorgung zu gewährleisten. NAPA kommt und geht, so der Volksmund mehrmals am Tag, aber hier in unserem Hotel ist NAPA seit 7 Tagen nicht mehr gewesen. Da der Generator direkt unter meinem Fenster sitzt, bin ich so einem unerträglichem Lärm ausgeliefert. Hinzu kommen die Blasgeräusche der Klimaanlagen, das Bellen aus der gegenüberliegenden Hundezucht und das Dauergehupe eines Straßenverkehrs der endzeitmäßige Formen angenommen hat.

Beim simplen Frühstück im Heim unseres Freundes D. haben wir wieder das NAPA-Problem. Vor Aufkochen des Kaffees und dem Einstecken der Toasts muß ein gigantisches grünes Ungeheuer angeworfen werden, das direkt neben dem Frühstückstisch einen Ratterlärm von sich gibt, der einem fast die gute Laune vertackert. Aber nur so wird Strom erzeugt und nur so ist europäisches Frühstück möglich. Bei mehreren Meetings oder abendlichen Unterhaltungen bei Familien und Freunden macht sich immer wieder NAPA bemerkbar, der Strom verschwindet einfach, und der Hausherr hat das Gespräch zu unterbrechen, muß zum Dieselgenerator, wirft ihn an, zehn Minuten später geht es weiter mit der Unterhaltung, vielleicht an anderer Stelle. Ganze Straßenzüge schrecken plötzlich auf mit Knattergeräuschen der angeworfenen Diesel. Die letzte Nacht im Hotel werden wir mit Kerzen an der Reception empfangen. „NAPA has left, and they are working on the Diesel“. Nun stand weder das eine noch das andere als Stromquelle zur Verfügung. Das Hotelzimmer lag mit all meinen Sachen in tiefstem Dunkel, die ganze Nacht ohne Klimagerät, kein Geräusch, dafür aber eine drückende, feuchte Hitze, welches Ungeheuer im Traum gebären sollte. Ja, mein Handy wollte ich noch laden und die Akkus für die Digitalkamera, aber alles dies war nun restlos gleichgültig.

Die letzte Dusche in dunklem Badezimmer, ein Wasserfluß der mehr an den Tränenfluß eines alten Dämonen erinnerte, der über die technischen Zustände weinte, der Boiler völlig ausgerostet. Aber warmes Wasser nach solch einer Nacht und ohne NAPA und Diesel wäre ja ohnehin unvorstellbar.
Die Benzinpreise sind himmlische 20 Cent pro Liter, und dennoch sieht man ab und zu einen 5000l Tank vor einem Haus mit der Aufschrift „By your Kerosine here“. Immer wieder auch kleinere private Anbieter mit Kanistern aus Kunststoff und Blech, die Benzin verkaufen. Doch die Hölle selbst, das ist der Straßenverkehr in Lagos, hier hat sich der Teufel persönlich ein Denkmal gesetzt. Man stelle sich nur eine 12millionen Stadt vor mit einem Straßennetz, das keinerlei Verkehrszeichen und Verkehrsampeln kennt. Polizisten nimmt man nur wahr, an den großen Brücken, welche die Islands mit dem Festland verbinden, indem sie abends in alle Wagen hineinleuchten, und dabei mit den Taschenlampen seltsame Zuckbewegungen machen, die manche Fahrer richtig, manche falsch interpretieren. Im letzten Fall kann es schon mal zu Schiessereien kommen, wie wir in den Tageszeitungen nachlesen konnten.

Der größte Teil der Verkehrs wird von gelben zerdepperten VW-Bussen bestritten, die als Mehrpersonentaxis dienen und von gelben Cabs, die in keinem europäischen Land mehr zugelassen werden würden. Stelle dir vor, Deutschland wird Weltmeister, und du befindest dich zehn Minuten nach Abpfiff des Spiels in der Kölner Innenstadt. Jeder wird hier ein Gehupe und Geschrei auf den Straßen imaginieren, und genau dies hat er in Lagos, Tag und Nacht, ohne Unterbrechung. Wir sind in ein Taxi eingestiegen, in dem uns der Atem vor Benzigeruch stehen blieb, und ich meinen kettenrauchenden Kollegen sofort anheischte, ja keine Zigarette anzuzünden. Es glotzen uns 3 schwarze Löcher an, in denen zu besseren Zeiten die Armaturen angebracht waren, jetzt waren nur noch einige schwarze Kabel und Schäuche zu sehen. Die Rücklichter waren, wie mit einem Hammer weggeschlagen, ein hinterer Kotflügel hing noch gerade so am Fahrzeuggehäuse. Während der Fahrt dröhnten die Schmerzen des Getriebes und der Stoßdämpfer derartig, dass ich glaubte jeden Moment fliegt das komplette Fahrzeug auseinander, als mir unser Begleiter beruhigend erläuterte, dass fast jedes Taxis so oder so ähnlich aussehe. Mit diesem Taxi fuhren wir problemlos in dunkler Nacht durch drei Polizeikontrollen, es war alles im grünen Bereich. Ganz klar, dass Taxis nur gegen Stundengebühren fahren, 600 Naira per hour, das sind so 6,5 Euro. Denn es kann schon mal vorkommen, dass zwei, drei Kilometer zwei, drei Stunden Zeit verbrauchen.
Neben diesen Cabs und Bussen gibt es ein weitreichendes System mit Zweirädern, die Personen transportieren. Jeder wendige Zweiradfahrer hat seinen Lenker seitlich abgeschnitten, um so besser zwischen den PKW’s durchfahren zu können. Ich nehme an, dass die vielen Jungen, an Beinen behinderte Bettler, die ich gesehen habe, in diesem Verkehr ihre tragische Schicksale erlitten haben. Der Verkehr in Lagos, die Straßen, die Menschen und die Verkehrsmittel sind etwas so total Absurdes und Wahnsinniges, was man bestimmt nirgendwo auf dieser Welt in einer ähnlichen Form wiederfindet. Ein Reverend erzählte uns, nachdem wir 2 Stunden zu spät zum Meeting kamen, er hätte gestern bei seinem normalen Weg, der etwa 30 Minuten Fahrzeit bedeutete, über 5 Stunden gebraucht.

Es ist Regenzeit. Die riesigen Schlaglöcher der Straßen füllen sich und werden zu gefährlichen Seen, die selbst erfahrene Streckenkenner nicht mehr durchschauen. Üblicherweise liegen alle 300 m Fahrzeuge am Straßenrand, nun sind es viele Fahrzeuge, und die liegen mitten auf der Straße. Wir stehen in einem Stau auf einer der Highways und brauchen für eine simple Strecke von wenigen Kilometern 3 Stunden.
Am Rande oder inmitten der Straßen spielt sich das ganze Kaufleben der Einwohner ab. Es werden Fleischstücke mit Packpapier auf den Boden gelegt, junge Burschen verkaufen von Nüssen über Hüte und Telefonkarten zwischen die verstauten Autos laufend alles was man sich denken kann. Überall sind selbsternannte Vulkanisierwerkstätten an Straßenrändern, die Reifen herrichten. Eisschränke, Eisblöcke, Früchte, Autoersatzteile, Gemüse, Brot in Körben auf den Frauenköpfen herumgetragen, der Marktplatz ist immer der Rand der Straße oder unter dem Highway. Die wenigen Supermärkte können sich nur die Reichen leisten.

Die Kirchen sind nach angelsächsischem Strickmuster in sehr großer Zahl vorhanden. Baptist Churches, Methodist Churches und vergleichbare Sekten haben teilweise schöne und gepflegte Kirchen in Lagos, die fast durchweg mit Orgeln der Engländer bestückt sind. Allerdings hat man diese Instrumente so gut wie überhaupt nicht gepflegt, so dass mir nicht eine einzige Orgel gezeigt wurde, die spielbar in unserem Sinne ist. Doch werden diese unspielbaren, völlig verstimmten und grauenhaft klingende Monster zur Chorbegleitung während des Gottesdienstes eingesetzt. Teilweise sind die Orgeln auch so intoniert, dass der Straßenlärm während des Gottesdienstes, das größte Übel des Orgelklanges einfach wegdrückt. Hinzu kommen Geräusche der großen Ventilatoren. Der Gesang der Gemeinde ist bewegt und rhythmisch, sehr ansprechend, die halbtoten Orgeln dagegen mit ihren asthmatischen Gefauche klingen krank und keinesfalls tragen sie mehr dazu bei, den Gesang zu stützen. Hier wäre vielleicht eine andere Entwicklung günstiger gewesen, nämlich wenn man sich in diesen Ländern anstatt auf das angelsäschische Orgelideal mehr auf die süddeutsche Barockorgel oder auf den Orgeltyp des Andreas Silbermann gestützt hätte. Nun aber ist diese Entwicklung nicht mehr rückgängig zu machen und in diesem Nigeria sind eben mal diese Orgeln mit vielen abgeschwächten Achtfüssern, mit pitman’s und pallet-magnets, was bei einem derartig brutalen Klima einfach das falsche Mittel ist. Während der Regenzeit hat es hier eine Luftfeuchte von rund 95% und Temperaturen um 28 bis 35 Grand Celsius, im Frühjahr und Herbst kann es bis 45 Grand Celsius steigen. Mörderisch kommt dann im Winter der „Harmartan“ daher, mit einer Trockenheit von 10 bis 20 % rel. Feuchte und Temperaturen um 18 bis 20 Grand Celius. Der „Harmatan“ ist ein Wüstenbote und bringt dazu noch Sand aus der Sahara daher. Das kurze Öffnen des Fensters belegt das Zimmer mit einer Schicht aus Sand und Staub. Das Leder der pneumatischen Orgelteile reißt, Papier rollt sich auf wie eine Käsescheibe in der Sonne, Holz verzieht sich sehr stark, ganze Windanlagen werden zerrissen, manchen Menschen wird die Haut aufgeschlitzt. Heuler und Totalausfall von Orgeln sind in dieser Zeit, die sich von November bis Februar abspielt an der Tagesordnung. Die Strapazen dieser beiden völlig unterschiedlichen Klimaeinflüsse, welche die Orgeln erleiden müssen, kann sich jeder der mit Orgeln zu tun hat weiter ausmalen.

Weitere Leiden haben die Orgeln dadurch zu überstehen, dass sie überhaupt nicht oder völlig falsch gewartet werden. Die abenteuerlichsten Flickversuche an Pfeifen und Windladen oder Bälgen belegen, dass kaum einer der „servicemen“ eine Ausbildung besitzt. Dazu fehlt es an Material und sachgerechtem Werkzeug. Die Instrumente sind die längste Zeit jenseits einer orientierbaren Stimmung. Dennoch wird musiziert, als gäbe es kein Problem. „Die Orgel ist vielleicht etwas leiser, als vor zwanzig Jahren“ so ein Kommentar, aber ansonsten bemerkt man das Hinübergleiten der Pfeifenorgel ins Nirwana nur, wenn ein Totalausfall stattfindet, oder wenn ein Organist aus einer anderen Gegend auf Unstimmigkeiten hinweist.
Am Freitag den 26.Juli um 23 Uhr 30 fliege ich zurück nach Deutschland, das Gepäck voll mit Plänen und Ausarbeitungen für 3 Orgelneubauten und 6 Renovierungen und mit drei schwarzen Ebenholzmasken. Beim Einstieg in den Flieger wird mir noch mein Taschenmesser abgenommen, vielleicht ein Symbol. Nun lass uns sehen, wie uns dieser fitzgeraldinische Tanz auf einer Feuerlichtung im Regenwald bekommen wird. Und wenn der Regen aufhört, dann lass uns hören Reubkes "94. Psalm : Ich hatte viel Bekümmernisse in meinem Herzen, aber Deine Tröstungen ergötzen meine Seele"...............

(c) gwm 2002