Über Dortmund Reinoldi

Der König ist tot - es lebe der König

DER BRIEF in SACHEN REINOLDI
Lieber Herr Walcker-Mayer,
haben Sie vielen Dank für ihre Antwort. Die traurige Geschichte in Dortmund trifft mich um so mehr, wenn ich höre, dass auch Sie sehr aktiv daran gearbeitet haben, die Orgel zu erhalten. Sie haben wirklich recht: wo bleibt der Denkmalschutz und wie soll man noch an ihn noch glauben!
Wenn auch die Orgel in Dortmund nicht aus dem 19. Jh. stammt wie Riga, Dom und Wiesbaden, Luther- und Ringkirche, bei denen man sich mit Erfolg bemüht hat, den Klang der großen romantischen Orgeltradition wie Cavaille-Coll, Sauer und eben Walcker zu erhalten, so müßte der Denkmalschutz in der Reinoldi-Orgel doch das Bemühen sehen, wie es Gerard Bunk und vor allem Walcker/Ludwigsburg gelungen ist, mit diesem Nachkriegsinstrument sowohl die Klangvorstellungen der Orgelbewegungen als auch die der Romantik zu vereinen.
Eben deswegen habe ich ja nicht nur die Musik Bach´s sondern auch die von Reger von den Konzerten meines Vaters klanglich in so guter Erinnerung. Und ich KANN EINFACH NICHT GLAUBEN, dass in der Nachfolgezeit meines Vaters (seit 1980) die Orgel technisch so heruntergekommen ist, dass, wie Herr Müller behauptet, sie nur noch abgerissen werden kann.
Wenn man es im Rigaer Dom geschafft hat, eine Walcker-Orgel von 1883!! bis heute! im großen und ganzen originalen Zustand zu erhalten (in den letzten Jahren wurde wieder viel daran gearbeitet, z.B. war im Sommer, als wir da waren, der Prospekt gerade abgebaut) - wenn also das geht, warum kann man dann nicht eine Orgel von 1958, die einen viel geringeren Zeitraum überdauert hat, erhalten? Dazu gehört einfach nur der gute Wille und Sachverstand. Und natürlich auch Geld! Aber wie oft hat man mit Spenden, Sammelaktionen und Pfeifenpatenschaften alte Orgeln schon gerettet.
Entschuldigen Sie bitte meine Ausführlichkeit, Herr Walcker-Mayer, aber ich muß Ihnen als ´letzter Walcker´ einfach schildern, wie sehr mir die Sache ans Herz geht. Wäre ich nur, als der Streit in Reinoldi begann, nicht gesundheitlich, familiär und beruflich so belastet gewesen. Dann hätte ich ja ´ganz vielleicht´ als Sohn eines Reinoldikantors ein bißchen was ausrichten können?
Mit herzlichen Grüßen
WB

DIE ANTWORT
Lieber Herr B
endlich komme ich dazu Ihren ausführlichen Kommentar zu den Geschehnissen um die Bunk-Walcker-Orgel in Reinoldi zu beantworten.
Wir haben damals (2008-2010) eine Internetseite gemacht, wo umfangreiche Feedbacks gesammelt wurden (http://www.bunkorgel-reinoldi.walcker.com/). Ich selbst habe etwa 5 mal ausführlich mit dem Denkmalamt telefoniert und den Leuten auch angeboten, dass wir ihnen Unterlagen und Begutachtungen von Orgelspezialisten der Umgebung zugängig machen bzw. dass diese sich mit dem Denkmalamt in Verbindung setzen würden. Alles wurde mit großem Verständnis entgegengenommen, aber man hat uns praktisch hintergangen, weil schnell klar wurde, dass sich der Organist und die Gemeinde Reinoldi schon früh mit dem Denkmalamt abgesprochen hatten.
Ich war dann auch laufend im Ausland unterwegs und dachte, dass sich die Aufregung im Dortmunder Raum bezahlt machen wird.
Nun habe ich ja schon sehr viele Dinge im Orgelbau in solchen Orgelsachen erlebt. Zum Beispiel gibt es eine ähnliche Geschichte mit der von Messiaen sehr gelobten Orgel der Villa Berg in Stuttgart, die auf meine Veranlassung unter Denkmalschutz gestellt wurde und wo heute sehr seltsame Bewegungen der Stadt Stuttgart gemacht werden. So dass ich also am Ende überhaupt nicht mehr glauben kann, dass an einem echten Denkmalschutz für hochwertige Kulturgüter irgendein Interesse der staatlichen Stellen vorliegt.
Nur dort, wo bunte Lautheit gefragt sind, wo man also im TV schöne Bilder produzieren kann für eine große Masse an Konsumenten, die gar nicht verstehen, um was es da eigentlich geht, da erleben wir „Kulturtätigkeiten“ von Politikern und von den Denkmalämtern.
Auch beim Sachverstand bemerke ich mehr und mehr, dass die Befriedigung von Eitelkeiten viel wichtiger ist, als ein langfristiges Denken, das erst die nächsten Generationen in ihrem Kulturbemühen befriedet. So reißt man die letzte Orgel von Bornefeld nieder, nur weil ein Sachverständiger und ein Spender in der Klosterkirche zu Murrhardt ihre Bildsäulen aufrichten wollen.
Wenn ein Organist eine Orgel loshaben will, weil er sich in einer neuen Orgel verewigen will, dann gibt es eine einfaches Ritual, das zu tun: er lässt die bestehende Orgel einfach nicht mehr warten und holt im fortgeschrittenen Zustand der Verrottung Zeitungspersonal herbei das bild-und schlagwortkräftige Verunglimpfungen in die Lokalblätter plaziert. Irgendwann gibt sich dann selbst hartgesottener Beistand der alten Orgel geschlagen und man wirft diese Orgeln auf den Müll.
Ich könnte Ihnen über mehr als zwanzig solcher Orgelgeschichten erzählen. Im VDO (Verband Deutscher Orgelsachverständiger) werden diese Techniken bestens geschult. Von Hamburg bis München hat das jeder Sachverständige so gut drauf, dass er seine Organisten durchschlagend im "Entsorgen" beraten kann.
Ich habe mich mit der Stuttgarter Zeitung angelegt, die ein regelrechtes Lügengebilde über eine Walcker-Orgel in Vaihingen in die Welt gesetzt hat. Das hat mich mehrere tausend Euro Rechtsanwaltgebühren gekostet, mit dem Ergebnis, dass die Zeitung einfach darlegte, das hätte ja der Organist behauptet und nicht sie. Und wie es aussieht, bekommt die Zeitung mit solcherlei Argumentation Recht gesprochen.
Am Ende muss ich sagen, ich bin nicht darüber enttäuscht, dass sich staatliche Organe gegen derartigen Kulturerhalt aussprechen, denn bei einer Demokratie ist der König der Bürger, und den kümmert heutzutage recht wenig, was in den Kirchen für Musik produziert wird. Enttäuscht bin ich von den Kirchen, die sich ihrem eigenen Regelwerk zuwider setzen und teilweise einen barbarisch anmutenden Mitarbeiterstab unterhalten.
Es grüßt Sie bestens,
Gerhard Walcker-Mayer