San Pietro in Vaticano

Während der Einweihung der kleinen, fahrbaren Walcker-Orgel im Petersdom, gestiftet vom damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, spielte Heinz Bernhard Orlinski auch auf der großen Tamburini-Walcker- Orgel, die ja zu einem erheblichen Teil aus Pfeifenwerk (und Windladen?) der Walcker-Orgel Opus 732 aus dem Jahre 1895 besteht und die ebenfalls fahrbar in den Petersdom gebaut wurde. Dieses Stückchen Musik zeigen wir hier , "Toccata-Roma" komponiert und gespielt von H.B., Orlinski. [4542 KB] (als mp3-file)

Disposition der Walcker-Tamburini Disposition der fahrbaren Walcker-Orgel aus 1979

Besuch des Petersdomes

Wenn man sich zum Petersdom aufmacht, so ist es, als ob man ein Bergsteigen beginnt, mit dem man der Wahrheit näher kommen will.
Wer lange genug in Rom lebt, wird sich nie ganz der Anziehungskraft dieses erdschweren Planeten "St.Peter" entziehen können. Und ich möchte gleich zu Beginn unseres zweiten kurzen Trips zu diesem alles einnehmenden Gotteshauses bemerken, dass ich anders als beim Besuch der rund 100 Kirchen Roms, hier nun kein wirklich gutes Gefühl hatte.
Was mich an diesem Gotteshaus besonders stört ist einerseits die gut reglementierte Kanalisation des Touristenstromes, besser: der Herde, die willig ein, zwei Stunden bei praller Sonne sich anreiht ins größte Gotteshaus des Katholizismus einzudringen. Und zweites, was sie dann tun in diesem Haus. Auch das Personal, das mit Todesverachtung die täppischen Inder, Chinesen und US-Burger auf aufgespannte Sonnenschirme und nicht betretbare Stellen oder nicht fotografierbare Teile des Kircheninneren hinweist, tut ein Übriges, um die Wahrheit, um deren willen man sich ja auf den Weg gemacht hat, weniger pompös erscheinen zu lassen, mit kleineren Säulen und Pilastern, und vor allem mit sehr viel weniger Mosaiksteinchen.
Es gibt drei begehbare Pfade: der Haupteingang zur Kirche, der Aufgang zur Kuppel und der Abgang zur Krypta, die Grabkammer der Päpste. Ein grauenhafter Ort, der einerseits versucht den Todesbezug des Katholizismus zu transponieren, andererseits mit dem aufgebügelten Kitsch eine unansehliche, peinliche Show darstellt.

Wer die ganze Woche hart arbeitet und dann an Sonntagen „Rom“ über sich ergehen lassen will, wird auch dies als Arbeit empfinden. Die Stadt kann, wie Martin Doll richtig sagt, zu viel werden. Auf Dauer Belastung sein. Jeder Stein, wird dann etwas Besonderes, jede Tür, jeder Fensterrahmen fängt dann plötzlich an seine Geschichten zu erzählen. Oder wie im Petersdom geschehen, ein alter, auf Krücken daherschleichender Mann redet uns an, und setzt die Predigt seines Pfarrers an uns fort, will nicht mehr aufhören, erinnert an den Irren in "Name der Rose" der in zehn undefinierbaren Sprachen daherplappert.
Dieser unendliche Erzählerstrom, auch aus jeder Souvenierbude, die Aufmerksamkeit erregen will, weil hier in der Stadt eigentlich jedes Haus aus diesen Motiven heraus gebaut wurde, ermüden dauerhaft und schwer. Und man hat tiefe und dunkle Träume, die da reden, von Neros Krähen und einem tiefen Grund der immer neue Knochenberge aus ältesten Zeiten freilegt.
Wer da, in diesem Zustand an Leonardos „Pietá“ , unmittelbar rechts von Haupteingang des Petersdomes, vorbeigekrochen ist, der denkt dankbar an die Erschöpfung eines Gottes, der in der Nacht seine geschaffene Welt betrachtet, den Petersdom sieht, und weint. Weil der Mensch versucht hat, ihn zu übertreffen. Jesú hingegossen in eine marmorne Maria, wie sie gnädiger und schöner nicht mehr sein kann, aber eben in Marmor, unnahbar und steinig, leider heute hinter Glas, so dass man nicht mehr ihre Mehrdimensionalität hinterfragen kann. Das ist zugleich der stärkste Bild- Eindruck den der Mensch sich selbst geben konnte.
Die Ausrichtung der römischen katholischen Kirche gelang in der Renaissance durch die großartige Architektur Vignolas, Berninis und Michelangelo mit dem Frühbarock. Was letzten Endes deutlich macht, dass die Orientierung an der Antike in Maß und Zahl, der wahrhaftige und der einzig mögliche Weg war, der Gottesverehrung höchste Priorität einzuräumen.
Diese gewaltigen Dimensionen, die in diesen Kirchen aufgebrochen wurden, den Himmel gestürmt zu haben, liess keinen Zweifel, dass es sich hier vom Pantheon bis zum Petersdom um den einzig gültigen absoluten Gott handeln konnte. Das Manko dieser großartigen Architektur konnte kein Vignola oder Michelangelo damals erahnen, war, dass diese Form der Gottesverehrung keine andere Form der Kunstvorstellungen mehr zulassen konnte.
Damit hat sich die römische Kirchenwelt für die Architektur entschieden und gegen die Kirchenmusik, wie sie im hohen Norden sich in der Person Johann Sebastian Bachs rund 100 Jahre später manifestierte. Und genau dieser Umstand ist es, der uns heute die Orgel und ihre Musik so armselig in Rom vorkommen lässt: denn welches Lied könnte da noch erschallen, in diesen gigantischen Hallen, das dieser Architektur Paroli bieten könnte . Oder, um einen Konsens anzustreben, welches Lied wäre in der Lage sich mit dieser Architektur zu verbünden? Wäre es nicht so, dass die ungleichen Brüder, wie einst Abel und Kain, sich unvermittelt im Streit wieder fänden?
So gesehen war es ein Segen, dass Aristide Cavaillé-Colls Entwurf für den Petersdom, ein wunderschönes Gipsmodell soll noch davon existieren, keiner Realisierung beschieden war. Wie hätten wir es ertragen, in die unseligen Touristenströme uns eingereiht zu sehen, von missmutigen Ordnern zurechtgewiesen, um dann einen stillen Blick auf diese Orgel zu werfen. 20 bis 30 Bilder davon zu schiessen und irgendwann im Kirchenjahr wäre von einem schlechten Kirchenmusiker ein schlechtes Orgelkonzert gegeben worden, vor einem Heer Chinesen und Inder, die mit verschobenen Mündern nach 20 Minuten auf die Uhren geschielt hätten. Von einem phänomenalen Klang in der großartigsten Kirche der Welt wäre höchstens eine ins Minus subtrahierte Kulturpotenizerung übrig geblieben, da bin ich mir sicher. Aber auch dies ist eine konstruierte Illusion, wie Freud gesagt hätte, der übrigens behauptete, alle religiösen Lehren seien Illusionen. Aber dann stände ja der Petersdom auf einem Wolkenkuckucksei..... - und das, das können wir nach diesem Besuch nun wirklich nicht glauben,-- oder doch?!
Wir werden nächste Woche wieder in den Vatikan gehen, diesmal ins Vatikanische Museum, um dort neben Raphael, Michelangelo, Bramante, besonders aber die antiken Bildnisse wie den Laokoon, den Apoll von Belvedere oder den Mars von Todi zu sehen. Klar, zu hören gibt es dort wieder nichts. Das besorgt uns im klimageschützter Wohnung per iTunes: Messiaen, Bach, Reger, ein Triforium nördlicher Gottheiten. Oh wie maßlos sind wir, wie wenig antik!

Gerhard Walcker-Mayer 22.Aug.2010